Denkmalstiftung Christuskirche Engelskirchen
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Vortrag von Professor Dr. Klaus   Goebel anlässlich des Tages der Christuskirche
  

Glaube in Bekenntnis und Tat
Die Familie Engels in Barmen und Engelskirchen und die   evangelische Gemeinde Engelskirchen


Der Barmer Fabrikant Friedrich Engels senior gründet 1837 mit dem niederländisch-britischen Geschäftsmann Peter Ermen ein Unternehmen für Baumwollverarbeitung mit Sitz in Barmen und    Manchester. Auf der Suche nach einem besseren Flussgefälle zur Gewinnung von Energie aus dem Wasser, als es die Wupper in Barmen bietet, folgt er einer Anregung des Baumeisters Christian Heyden und fährt mit ihm in das oberbergische Dörfchen Engelskirchen an die Agger. Hier findet er einen geeigneten Standort und Arbeitskräfte, deren Lohn um die Hälfte niedriger ist als in Barmen. „Die Bewohner sind sehr arm und sehen mit Sehnsucht einer neuen Nahrungsquelle entgegen“. Der zuständige Bürgermeister in Lindlar ist begeistert. Der Landrat in Wipperfürth unterstützt die Ansiedlung.


In einem anmutigen Tale
Engels schildert seinem Firmenpartner den zukünftigen Fabrikort mit   Sympathie: „Engelskirchen liegt in einem anmutigen Tale, sechs Stunden von   Köln und über Gummersbach 13 Stunden von Barmen.“ Durch eine geplante und   schon vermessene Chaussee von Wipperfürth nach Engelskirchen würde die   Entfernung von Barmen jedoch auf 8 ½ Stunden reduziert. Diese Entfernung   bezieht sich auf Pferd und Wagen. Das Eisenbahnnetz ist erst im Aufbau   begriffen und das Kraftfahrzeugzeitalter hat noch nicht angefangen.
  
Drei Jahre darauf beginnt Baumeister Heyden mit dem Fabrikbau. Wiederum drei Jahre später startet Friedrich Engels die Fabrikation. Die Belegschaft wächst stetig. Thomas Schleper, der sich mit den industriellen Anfängen beschäftigt hat, beklagt zu recht manche Wissenslücke über diese Anfangsjahre. Dennoch kann man sich ein Bild machen. 1855 beträgt die Arbeiterschaft, Frauen,  Männer und Jugendliche, schon 516 Köpfe. Frauen bekommen wesentlich weniger Lohn, Kinder Billiglöhne. Die Kinderarbeit ist den schriftlichen Quellen zufolge nur dem katholischen Pfarrer ein Problem. Wir würden etwas darum geben, besäßen wir Selbstzeugnisse der arbeitenden Menschen. Doch das Schreiben fällt ihnen schwer, sie mögen es als unangemessenen Luxus empfinden. Vielleicht entdecken wir einmal alte Briefe aus Engelskirchen, ähnlich der um 1920 in Amerika entstandenen Niederschrift des Unterbarmer Auswanderers Hermann Enters. Sie zeichnet Kindheit, Jugend und  Arbeitsverhältnisse im Wuppertal um 1850 nach – die „kleine mühselige Welt   des jungen Hermann Enters“. An der Suche nach alten Briefen und andern   Lebenszeugnissen kann sich jeder beteiligen.
  
Die bei Ermen & Engels Beschäftigten kommen nicht alle aus Engelskirchen. Sie nehmen manchmal weite Fußwege in Kauf, um zur Fabrik zu gelangen. Deshalb siedeln sich immer mehr an der Agger an, allein, um solche Wege zu vermeiden. In 30 Jahren verdoppelt sich die Bevölkerung. Engelskirchen ist immer  überwiegend katholisch gewesen. Der Anteil der Evangelischen liegt damals unter 10 Prozent. Sie halten sich nach Ründeroth, soweit sie lutherisch sind, die Reformierten nach Drabenderhöhe. Die Konfessionsunterschiede haben mit Jahrhunderte alten politischen Grenzziehungen an diesem historischen Dreiländereck des Herzogtums Berg und der Reichsherrschaften Gimborn und Homburg zu tun. Diese Grenzen, die erst 1815 unter der preußischen Krone   verschwinden, wirken bis heute nach.
  
Ein sozial denkender Arbeitgeber
Den Arbeitgeber Engels zeichnet soziale Fürsorge aus. Seit Betriebsbeginn   gibt es in der Firma eine Unterstützungskasse, die vierte in der Rheinprovinz. Sie bezieht bei Krankheit und Unfall auch die  Familienangehörigen ein. Eine Speiseanstalt ist seit 1857 nachgewiesen. Der Bau erster Arbeiterhäuser beginnt 1860.
  
1855 ist das Haus der Familie Engels fertig, die Villa Braunswerth. Friedrichs Sohn Emil, 27 Jahre alt, zieht dort ein. Er hat mit der 22jährigen   Barmerin Charlotte Bredt gerade eine Familie gegründet. Der Vater Friedrich   hält sich häufig in Engelskirchen auf, bleibt aber am Hauptfirmensitz Barmen  wohnen, ebenso die Söhne Hermann I und Rudolf, die in Engelskirchen   mitarbeiten. Erst deren Söhne wählen Engelskirchen zum dauernden Wohnort.   Nach dem 1860 erfolgten Tode des Firmengründers verbringt Friedrichs Witwe Elise Engels die letzte Lebenszeit etwa zur Hälfte in Engelskirchen. Sie möchte sich dort auch zur Steuer veranlagen lassen. Dann könne sie gegenüber   Barmen einiges sparen, wie sie schreibt. Sie stirbt 1873. Zwölf Jahre später, 1885, wird der Firmensitz schließlich von Barmen nach Engelskirchen verlegt.
  
Der wichtigste Anstoß, daß Engelskirchen eine evangelische Gemeinde und   Kirche bekommt, stammt von dem Firmengründer Friedrich Engels senior. Er hat   dazu materielle Grundlagen gelegt. Doch seines frühen Todes wegen erlebt er   die Gründung nicht mehr, erst recht nicht den Kirchenbau. Dieser Friedrich   Engels ist in kirchlichen Gründungen wahrhaftig nicht unerfahren. Schon   einmal hat er für einen großen Kirchenbau, die Unterbarmer Hauptkirche in   Wuppertal, entscheidende Verantwortung getragen. Sein Vater Caspar ist ihm   darin Vorbild und Beispiel. Caspar hatte ein Menschenalter zuvor die   Initiative ergriffen und die Voraussetzungen geschaffen, daß 1822 eine neue   vereinigt-evangelische Gemeinde Unterbarmen aus den Bindungen der   reformierten und der lutherischen Elberfelder Muttergemeinde entlassen werden   konnte. Caspar stirbt aber kurz vor der Gemeindegründung – welche Parallele   zur nächsten Generation! Jetzt nimmt der Sohn Friedrich das Erbe des Vaters   auf, eine neue, als notwendig angesehene Gemeinde an der Agger zu seiner   Sorge werden zu lassen, um ebenso wie der Vater ihre Gründung nicht mehr zu   erleben. Der Unterbarmer Pfarrer Taube hat dem lebenslangen Bemühen   Friedrichs für das kirchliche und gemeindliche Leben an seinem Sarg 1860   Ausdruck gegeben: „Die Gemeinde ... hat den Mitarbeiter verloren, der nach  der Gabe, womit er diente, einzig in seiner Art war ... unsere Kirche, unsere   Pastorate, unser Kirchhof, unser Waisenhaus, unser Armenhaus, sie alle legen   ein lautes Zeugnis davon ab.“ Der Chronist Unterbarmens fügt hinzu, als alles   vollendet und die Gemeinde mit den nötigen Bauten versehen gewesen sei, habe   Friedrich Engels in seinem Geist die Errichtung einer evangelischen Gemeinde  und die Erbauung einer Kirche in Engelskirchen bewegt. „Da raffte ihn der Tod schnell und unvermutet von uns weg.“
  
Letztwillige Verfügung
Als Engels in seinem Haus in Barmen an Typhus stirbt, ist er 63 Jahre alt. Im   Testament bestimmt er für eine Kirche und Gemeinde in Engelskirchen 2500   Taler. Weil er so viele Erfahrungen mit dem Anwachsen einer Gemeinde und dem   Umgang mit praktischen Fragen der Gemeindestruktur gesammelt hat, beobachtet   er auch in Engelskirchen angesichts des Wachstums von Ermen & Engels mit untrüglichem Blick zweierlei, je öfter er sich dort aufhält. Zum einen: Unter den zuziehenden Arbeiterfamilien sind manche evangelisch. Zum andern: Der Weg in die Ründerother Kirche ist für sie wie für die Alteingesessenen zu weit. Sein früher Tod hindert ihn daran, aus diesen Beobachtungen die Konsequenzen zu ziehen. Doch seine letztwillige Verfügung wird zur Initialzündung. Der in  Engelskirchen wohnende Sohn Emil wie auch dessen Brüder Hermann und Rudolf, die zwischen Engelskirchen und Barmen pendeln, nehmen die väterliche Initiative auf. Sie wird auch von den evangelischen Einwohnern unterstützt, die es eben können. Die meisten sind aber vermögenslos. So bleibt vor allem Emil Engels, der die Gemeindegründung vorantreibt: in Gesprächen, in Sitzungen, mit Briefen, mühsam errungenen Zusagen, einen Vikar und einen Lehrer zu bekommen, nicht zuletzt mit den von ihm gegebenen finanziellen Garantien und den praktischen Hilfen der Firma.
  
Anfang 1862 erfolgt ein wichtiger Schritt vorwärts. Vikar Paul Josephson hält   den ersten Gottesdienst und tritt seinen Dienst an. Ermen & Engels stellt   den Speisesaal dafür zur Verfügung, solange es noch keine Kirche gibt. Zwei Monate später erfolgt die erste Presbyterwahl. Der 34jährige Emil Engels wird  Kirchmeister. Jetzt gibt es eine große Aufgabe für ihn: angesichts des Bedarfs so rasch wie möglich Kirche, Schule und Pfarrhaus zu bauen, die Vikarstelle in die Stelle eines Gemeindepfarrers umzuwandeln, somit die endgültige Selbständigkeit und damit die Lösung von Ründeroth zu erhalten.  Sammlungen und Kollekten erfolgen. Das Gustav-Adolf-Werk, eine Generation   vorher zur Unterstützung der evangelischen Diaspora im In- und Ausland gegründet, läßt sich mit seinen in der rheinischen und bergischen Umgebung inzwischen entstandenen Zweigvereinen nicht vergeblich ansprechen. 1864 ist es den Engelskirchenern dank einer Sammlung von mehr als 8000 Talern möglich, den Kirchenbau vorzubereiten und im Jahr darauf zu beginnen. Ermen & Engels   gibt 3000 Taler und noch einmal 5000 als Baudarlehen.
  
Die Kirche ist gebaut
Ende November 1867 berichtet Elise Engels ihrem ältesten Sohn in London   begeistert über die Einweihung der Kirchenbaues. Im Hause Braunswerth seien   die Mitglieder des rheinischen Konsistoriums, der Kirchenleitung also, mit dem Generalsuperintendenten an der Spitze, der Kölner Regierungspräsident und etwa 30 Pfarrer aus der Umgebung zu Gast gewesen. Auch Schule und Pfarrhaus   werden von der Gemeinde finanziert und gebaut. Der Unterricht braucht nicht mehr im Speisehaus der Firma stattzufinden. 1875 wird der bisherige Vikar Carl Thienhaus erster ordentlicher Pfarrer. Im gleichen Jahr übernimmt Emil   Engels die restlichen Schulden und Tilgungen für den Kirchenbau in Höhe von mehr als 3000 Talern. Im nächsten Jahr würden das 9000 Mark sein, denn im neuen Deutschen Reich wird die 2002 wieder abgeschaffte Mark-Währung eingeführt.
  
Die Konstituierung der Gemeinde ist abgeschlossen. Pastor Thienhaus würdigt aus diesem Anlass Emil Engels: „Vor allem aber ist das Werk, an dessen Vollendung wir nun stehen, das Verdienst unseres Kirchmeisters.“ Diese Würdigung fügt Hans-Dieter Weihs in einer 1962 erschienenen  Gemeindejubiläumsschrift hinzu, noch heute fehlten die Worte, seiner richtig dankbar zu gedenken. Die Worte fehlen uns immer, möchten wir hinzuführen, wenn wir jemandem unbeschreiblich dankbar sind. Emil Engels hätte mit seinem Geld und seiner Zeit auch anders umgehen können, nicht anders seine Vorfahren und Nachkommen. Sicher ist Engels aber nur das Synonym, ein anderer Ausdruck für den Einsatz, den viele leisten. Doch es bleibt ein beispielhafter Name. Wir haben manche Engels, denen wir dankbar sein müssen, und wir brauchen noch viel mehr. Es gibt möglicherweise keine größere Dankesbezeugung, als das nachzumachen, wofür man zu danken hat.
  
Zur damaligen Zeit ist der Kirchmeister angesichts einer stärker als heute vorhandenen finanziellen Selbständigkeit der Einzelgemeinde der wichtigste   Mann im Presbyterium neben dem Pfarrer. Blickt man auf die Reihe der   Kirchmeister von Engelskirchen, so fällt auf, daß dieses Amt zwischen 1862 und 1929 hauptsächlich von vier Trägern des Namens Engels wahrgenommen worden   ist: Emil Engels I bis III und Hermann Engels II. Die Familie stiftet später   auch die erste Orgel, Frau Kommerzienrat Engels 1887 die Turmuhr. Woher   hätten Orgel und Uhr sonst kommen können? Kritisch ist dazu natürlich zu   bemerken, daß das Ganze nach Familienherrschaft aussieht. Doch die  Wirklichkeit dieser kleinen Diasporagemeinde sieht so aus: Sachverstand und   Opferbereitschaft für die Finanzen liegen beim Inhaber der bei weitem größten   Firma am Ort, die Bereitschaft, Zeit und immer wieder Zeit für die Gemeinde   zu finden, ist bei ihm zu finden. Das qualifiziert für einen Dienst, nicht aber für eine Herrschaft.
  
Marx-Engels-Lenin-Stalin
Zur Firma gehört lange Zeit auch Friedrichs ältester Sohn, der seinen   Vornamen trägt: Friedrich Engels junior. Besaß Ermen & Engels   weltumspannende geschäftliche Beziehungen und unterlag schließlich 1979 auch   einer weltumspannenden Konkurrenz, so brachte es Friedrich junior als  Mitgründer des organisierten Sozialismus zur Weltbedeutung und   Weltberühmtheit. An zentralen Orten der kommunistischen Staaten ist uns bis   zu ihrem Zusammenbruch das Viererbildnis Marx-Engels-Lenin-Stalin begegnet,   in China das Dreigespann Marx-Engels-Mao.
  
Der junge Friedrich beendet zu Beginn der 40er Jahre seine Ausbildung bei   Ermen & Engels in Manchester, tritt später als Teilhaber ein und bleibt   Repräsentant der deutschen Familie und Teilhaber in England bis 1869. Doch   mehr als die geschäftlichen Aufgaben interessiert ihn zunehmend das Elend des   Proletariats. Aus Manchester zurück, schreibt der 24jährige an den   Schreibtischen von Barmen und Engelskirchen eines seiner bekanntesten Werke:   Die Lage der arbeitenden Klasse in England.
  
Seit er Karl Marx in Köln zum ersten Mal begegnet ist, verwandelt sich seine   jenseitige Hoffnung in eine diesseitige. Christliche Zuversicht bezeugt noch   das Kirchenlied des sechzehnjährigen Konfirmanden. Die ersten Zeilen lauten:   „Herr Jesu Christe, Gottes Sohn, / O steig herab von deinem Thron / Und rette   meine Seele.“ Doch bald entfremdet sich Friedrich diesem Glauben, der eigenen  Familie und einem auf Erhaltung bestehender Zustände gerichteten Staatswesen.   Das politisch-ökonomische Ziel seines Schreibens und Handelns richtet sich   zunehmend auf eine revolutionäre Veränderung der Verhältnisse.
  
Die Beziehungen Friedrichs zu seiner Familie in Barmen und Engelskirchen   hingegen bleiben freundlich. Fast möchte man sie christlich nennen trotz der   Tatsache, daß sich Friedrich nicht mehr als Christ verstand. Die „dem lieben   Bruder, Onkel und Großonkel“ 1895 in der Zeitung gewidmete Todesanzeige soll   dabei nicht einmal zu hoch bewertet werden, weil bei solchen Gelegenheiten   auch Floskelhaftes zum Ausdruck kommt. Zwar dürften vor allem   geschäftlich-finanzielle Interessen auf beiden Seiten die Bindungen aufrecht   erhalten haben, doch dürfte eine solche Erklärung kaum ausreichen. Denn es zu   bedenken, was Hermann Engels III 1971 mir geschrieben hat: die Inhaber von   Ermen & Engels hätten sich ihres Großonkels Friedrich nie geschämt. Nicht   anders denkt Friedrich, der drei Jahre vor seinem Tod einem Parteifreund   deutlich macht, man könne persönlich gut freund bleiben, trotz politischer   Trennung. „Aber das haben wir ja alle durchmachen müssen, ich sogar in der   eigenen frommen und erzreaktionären Familie.“
  
Mütterliche Fürsorge
Die Mutter Elise hält in mütterlicher Fürsorge die engste Verbindung zu ihrem   Ältesten. Es wurde der Bericht erwähnt, den sie ihm über die Einweihung der   Kirche gegeben hat. Aus Engelskirchen stammt auch eine Reihe weiterer Briefe,   die sie nach London schreibt. Darin macht sie aus ihrem Herzen, in diesem   Fall aus ihrem Glaubensherzen keine Mördergrube, mag der Sohn bei der Lektüre   auch den Mund verziehen. So stellt sie dem Mitgründer des Kommunismus 1866   vor Augen, daß Klagen nicht helfen, denn „wir haben ja einen Regenten über   alle Regenten, der wird’s schon wieder in Ordnung bringen, auf den verlasse   ich mich. Leb nun wohl, lieber Friedrich, Gott sei mit dir und erhalte dich  gesund.“ Im gleichen Jahr schreibt Elise Engels, diesmal aus Barmen,   angesichts des zwischen Preußen und Österreich drohenden deutschen   Bürgerkrieges an ihren Sohn, Gott möge geben, daß der Frieden erhalten   bleibe. „Der Krieg ist doch etwas schreckliges und etwas unnatürliches, daß  Menschen gegeneinandergeführt werden, um sich auf die möglichst schnellste   Weise ums Leben zu bringen.“ Daß Elise klugerweise eine Stiftung von Todeswegen   errichtet, damit Vertreter der Familie an der Trauerfeier für ihren Ältesten   teilnehmen können, rundet das Charakterbild einer Mutter. Unter den fünf   Neffen, die 1895 nach London reisen und sich im Kreis von Bebel, Bernstein   und Liebknecht wiederfinden, befindet sich aus Engelskirchen Hermann II. Wenn   hier eine Frau mit festen, wohlbegründeten Standpunkten zu Wort kommt, läßt   sich dazu festzustellen, daß Frauen in der älteren Gemeindegeschichte von   Engelskirchen, von Barmen und überhaupt im damaligen kirchlichen wie im   politischen Leben nicht oder nur ausnahmsweise eine Rolle spielen. Die   Gesellschaft ist patriarchalisch verfaßt. In der Kirche ist es nicht anders.   Gremien und Ämter, Entscheidungen und das große Wort, das alles bleibt den   Männern vorbehalten. Friedrich von Schiller hat im „Lied von der Glocke“   diesen Tatsachen, dem Lebensgefühl der Epoche Ausdruck verliehen: „Und   drinnen waltet die züchtige Hausfrau ... / Und lehret die Mädchen und wehret   den Knaben.“ Drinnen heißt: in Haus und Hof, Küche und Keller. Aber was Elise   Engels geborene van Haar in Haus und Hof tut und sagt, ist ebensowenig   protokolliert worden wie der Alltag der Arbeiter, deren Lebenswirklichkeit   auch nur ausnahmsweise einmal aus dem Nebel unserer Vorstellungen   heraustritt.
  
Die Frauen der Engels sitzen nicht in Gremien und schreiben keine Briefe an   nächsthöhere Gremien, empfangen keine Regierungskommissare und besuchen weder   die Kölner Bezirksregierung noch das Koblenzer Konsistorium. Doch wäre es   einer Untersuchung wert, ob und wie gerade sie in den Belangen der   Kirchengemeinde und des Glaubenslebens indirekt auf die handelnden Männer  eingewirkt haben, gerade, was deren kirchlich-gemeindlichen Einsatz betrifft.   Zum Glaubensleben gehört das Gebet, das offene und das steuernde und das   mahnende Wort, die Zusammenkunft mit Lied und Bibelwort. Inzwischen dürfte es   auch Material geben, das uns Auskunft gibt, nicht zuletzt Familienbriefe und   andere Familiendokumente. Elise van Haar jedenfalls, die Rektorstochter aus  Hamm, die der 22jährige Friedrich Engels „von Herzen lieb [gewonnen hat]“ und   auch glaubt, wie er seiner Schwester gegenüber äußert, von ihr „wiedergeliebt   zu werden“, so daß er sich gern mit ihr verloben würde, Elise hält später die   Familie zusammen, „wehret“, wenn auch vergeblich, den konträren Anschauungen   des roten Ältesten und „lehret“ ihre Kinder, fünf Jungen und vier Mädchen.  Das ist ja bis heute eine königliche Aufgabe.
  
Ein zweites Beispiel betrifft die Frau Kommerzienrat, die die Turmuhr   stiftet. Dahinter verbirgt sich die Ehefrau von Emil Engels I, Charlotte   Engels geborene Bredt. Ihr Mann stirbt erst 56jährig 1884. Sie überlebt ihn um 28 Jahre. Dürr und knapp heißt es in der Familiengeschichte, in diesem Fall der Familie Bredt, 1871 habe sie das Verdienstkreuz für Frauen und   Jungfrauen erhalten.
  
100000 Pfund Kartoffeln an Arme
Welche Überlieferung Charlotte von ihren Eltern und den Großeltern Peter   Bredt und Charlotte Siebel in die Ehe mit Emil Engels einbringt, läßt sich   angesichts der folgenden Nachricht nur ahnen. Der Bandfabrikant Bredt stiftet   als Kirchmeister der evangelisch-reformierten Gemeinde Barmen-Gemarke  Kapitalien, die die Stiftungen seiner Engelskirchener Verwandten weit   übertreffen. Dazu zählt, was in einer Mindener Zeitung aus dem Not- und   Hungerjahr 1817 über ihn zu lesen ist „Zu Barmen hat Herr Peter Bredt seit   Anfang des Jahres über 100 000 Pfund Kartoffeln an Arme aller  Glaubensgenossen austeilen lassen.“
  
Fragen wir nach Motiven dieses Einsatzes. Ruhm und Ehre haben die Stifter   durch solche Dienste wohl kaum eingeheimst. Es dürfte von ihnen in erster   Linie die Gesinnung in Anspruch genommen worden sein, die im Testament des   Ahnvaters Caspar Engels von 1821 zum Ausdruck kommt, jenes Engels, der   kurzerhand König Friedrich Wilhelm III. in Berlin einschaltet, um ihn für die   nach seiner Auffassung dringend erforderliche neue Gemeinde in Unterbarmen zu   gewinnen. Diese Gemeindegründung anzustreben, so lesen wir, sei von ihm,   Caspar Engels, nicht um eitler Ehre wegen begonnen worden. Was er getan habe,   sei vielmehr für ihn ein schuldiges Opfer. Oder mit unsern Worten: Es habe   sich der Glaube in der Tat zu erweisen.
  
In einer Zeit ohne Kirchensteuer sind es fromme Stiftungen, die die Kirchen   finanzieren, Bauausgaben wie Personalkosten. Die Geschichte des Mittelalters   ist geradezu durch sie charakterisiert. Große Kathedralen und kleine   Dorfkirchen sind so gebaut worden. In den seit dem 17. und 18. Jahrhundert entstehenden jungen Kirchen von Nordamerika hat sich diese Tradition   erhalten. Sie waren keine Staatskirchen. Die Bildung eines modernen   Staatskirchentums in Europa hingegen und die Demokratisierung finanzieller   Lasten in Gestalt der Kirchensteuer hat fromme Stiftungen zurücktreten lassen.
  
Die Gewöhnung an Kirchensteuern wirkt beruhigend. Doch zu dieser Beruhigung   kann auch gehören, daß Aktivitäten und Initiativen zurückgenommen werden. Es   sieht so aus, als ob angesichts abnehmender Kirchensteuereinnahmen   freiwillige Spende und Stiftung wieder an Aktualität gewinnen. Wer nach   Modellen dafür sucht, dem geben die Geschichte der Familie Engels in Barmen   und Engelskirchen ebenso wie die neue Denkmalstiftung in Engelskirchen   Beispiele.
  
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Klaus Goebel, Mühlenfeld 42,

42369 Wuppertal-Ronsdorf,